Am 22. Januar 2020 haben wir unserem geliebten Koblenz Adieu gesagt und unsere schon so lange vorbereitete große Afrika-Umrundung gestartet. Zu diesem Zeitpunkt ist in China Corona – Covid-19 – längst ausgebrochen und in den Nachrichten weltweit Thema Nr. 1. Von einer drohenden Pandemie weiß in diesem Augenblick noch niemand und wir fahren in den ersten Wochen unserer Reise dem Virus sozusagen vor der Nase her, über Frankreich, Spanien, Marokko und Mauretanien.
Ankunft Zebrabar
Am 9. März 2020 passieren wir den Grenzübergang Diama und reisen bei Saint-Louis von Mauretanien in den Senegal ein. Wir planen eigentlich einen zweitägigen Stopp in der bei Afrika-Overlandern seit nun mehr als 25 Jahren angesagten ,Zebrabar’ des Schweizer Ehepaars Ursula und Martin Dürig. Diese Camping-Lodge mit Bar, Restaurant und ganz viel Charme, soll jedoch nicht nur ein kurzer Stoppover, sondern für vierzehn Wochen unser Zuhause werden. Genau im Moment unserer Ankunft überrollt uns Corona und die Grenzen schließen am darauffolgenden Freitagabend auf dem gesamten afrikanischen Kontinent – ein Schock!
Einreisedokumente
Nur der Initiative von Martin Dürig haben wir es zu verdanken, dass wir die Zebrabar in den ersten chaotischen Tagen voller Sorgen, Unsicherheit und Ängsten wegen Formalitäten nicht mehr verlassen müssen. Der Schweizer Betreiber der Lodge organisiert unverzüglich die Abwicklung rund um unser wichtiges Zolldokument, das Carnet de passage, dass du für die vorrübergehende, zollfreie Einfuhr für dein Fahrzeug benötigst. Bei der Einreise an der Grenze erhältst du leider nur ein ,Laisser le passage‘, das nur drei Tage Gültigkeit hat!
Grenzschließung
So sind alle Reisende gezwungen, innerhalb der vorgeschriebenen Zeit in Dakar ihren Zollstempel abzuholen. Schade für alle ankommenden Zebrabar-Gäste, denn sie müssen nach spätestens zwei Tagen zwangsläufig weiter nach Dakar. Wir entscheiden uns, die Hilfe von Martin anzunehmen und lassen alle Formalitäten via Taxi von einem Bevollmächtigten erledigen. Der Kurier passiert dabei die Distriktgrenzen ohne Probleme. Wären wir selbst als Touristen nach Dakar gefahren, wäre eine Rückkehr in die Zebrabar für uns bestimmt nicht mehr möglich gewesen.
Zuhause in der Zebrabar
Mit uns zusammen sind in der Zebrabar noch weitere Reisende gestrandet. Ein junges Pärchen aus Frankreich, Nina und Raphael, beide 28 Jahre alt, Natalia und Luis, eine Krankenschwester mit ihrem Polizisten aus Barcelona, Gerti und Christian, Aussteiger und Motorradler aus München, Julius und Benjamin, zum Kitesurfen im Senegal und der Künstler-Philosoph Khaled, ein 28-jähriger Algerier.
Komplizen
Die Besitzerin Ursula Dürig-Bürki trifft wenige Tage nach unserer Ankunft von einem Heimatbesuch mit dem letzten Flugzeug aus der Schweiz ein. Die Menschen in Senegal machen die Tubab, wie sie die Weißen nennen, für Corona verantwortlich. Es kommt zu Übergriffen und Steine werden nach uns geworfen. Natalia und Luis waren noch einmal in Saint-Louis und sind dabei in Ausschreitungen geraten. Wir fühlen uns als Verbündete in einer bedrohlichen Situation. Alles hat von jetzt auf gleich geschlossen, eine Ausgangssperre wird verhängt und sogar die Bezirksgrenzen sind nur mit einer Ausnahme passierbar – an eine Weiterreise ist nur noch mit Genehmigung der Präfektur möglich.
Wir isolieren uns und schirmen die Zebrabar von der Außenwelt ab. Die Location ist dafür ideal, denn die Zebrabar liegt am Ende einer Landzunge, kurz vor der Mündung des Senegalflusses, mitten im ,Parc National de la Langue de Barberie‚, der übrigens auch sofort geschlossen wird. Die Zebrabar ist plötzlich abgekapselt – eine Enklave im Senegal, ein kleines Paradies für uns.
Eine neue Zeitrechnung
Tatsächlich beginnt in der Zebrabar eine neue Zeitrechnung für uns. Wir sind völlig losgelöst, die Welt ist da draußen und wir hier in einem anderen Universum. Du hast bestimmt auch schon mal darüber nachgedacht, wie es wohl ist, wenn man auf einer einsamen Insel strandet, alleine oder in einer zufällig zusammengewürfelten Gruppe unterschiedlichster Menschen. Die Zebrabar ist unser rettendes Island und absolut perfekt, um hier die Zeit der Reisebeschränkungen und die internationale Entwicklung abzuwarten. Frank und ich können zurück nach Deutschland fliegen, doch denken wir keine Sekunde darüber nach, unseren Traveltiger alleine im Senegal zurückzulassen. Wir entscheiden uns für das Abenteuer und bleiben.
Stand by me – das Geheimnis Zebrabar
Wir ziehen uns komplett zurück und unser einziger Kontakt nach außen ist unser Taxi-Kurier und die beiden Angestellten, die noch auf dem Campement arbeiten. Sie bringen Infos aus der Region. Das schlecht funktionierende Internet gibt uns die Nachrichten aus aller Welt. Aus einer Woche werden vier, dann kalkulieren wir mit zwei oder sogar mit drei Monaten.
Aktionen gegen Depressionen
In den Wochen wachsen wir zu einer wundervollen Community zusammen. Jeder bringt seine Stärken und seine Talente ein und es ist unglaublich, was sich in dieser Zeit entwickelt. Wir alle fallen auch nacheinander in unser persönliches Psycho-Loch, aber wir lenken uns ab und überspielen unsere Sorgen mit einem umfassenden Unterhaltungsprogramm.
Mittlerweile sind wir nur noch elf Personen, Benjamin, Luis, Gerti und Christian sind zurück nach Deutschland geflogen, der harte Kern beleibt der Zebrabar treu. Wir richten einen Englisch-, Französisch- und einen Spanischkurs ein, unterrichten die kleine Nora, deren Schule geschlossen ist, veranstalten Kinoabende und geben Workshops für Gitarrenspiel, Backen, Surfen und Astrologie. Die Feste feiern wir, wie sie fallen… Alle zwei Tage gibt es während der spektakulären Sunsets auf der Strandterrasse Workout oder Yoga 🧘♂️, wir angeln, kochen und chillen gemeinsam am Lagerfeuer.
Community
Damit wir auch einen kleinen Privatbereich, insbesondere ein eigenes Badezimmer haben, stellt Martin jedem von uns für die Zeit einen eigenen Bungalow zur Verfügung. Eine sehr großzügige und weise Entscheidung. Ansonsten dürfen wir uns überall frei bewegen, die Restaurantküche benutzen, die Kühlschränke mit unseren Vorräten füllen und alles Equipment, vom Surfboard bis zur Bohrmaschine uneingeschränkt verwenden. Das macht eine entspannte Atmosphäre.
Ich glaube, keiner von uns weiß in diesem Moment das Geschenk der Freiheit wirklich zu schätzen. Denn so unfrei wir uns durch das Corona-Confinement fühlen, so frei sind wir aber auch in dieser Zeit.
Wir fühlen uns wie Pioniere, legen Gärten an, verwandeln Strandgut-Fundstücke in Einrichtungsgegenstände, und werden sesshaft. Die Spanier motivieren uns täglich zu Wassersport und Fitness und Khaled hat sein Outing als Art-Philosopher und führt die Regie in unserem Filmepos Zebrabar. Vom Aussichtsturm der Zebrabar studieren wir in den atemberaubend schönen senegalesischen Nächten den Sternenhimmel.
Während ich beschreibe, was wir in diesen wenigen Wochen in einer doch endlos lang empfundenen Zeit erlebt haben, kommen mir Gedanken über John-Boy Walton oder auch dem Jungen Gordie in ,Standby me‘, die ihre Geschichten aufgeschrieben haben – tolle Geschichten – über Freundschaft, Mut, emotionale Momente, Kreativität und gefährlichen Situationen bis hin zu Aggression und Missstimmung.
Komplizen
In der langen Zeit in der Zebrabar feiern wir viele Feste, Geburtstage, Ostern, Ramadan. Zum gemeinsamen Kochen, zum Barbecue, zum gemütlichen Beisammensein oder einem afrikanischen Clubdance à la DJ Raphael 😎 brauchen wir jedoch mittlerweile keinen besonderen Anlass mehr.
Unsere Tage sind voller Aktivität und immer zu kurz. Wir bestellen gemeinsam unseren Wocheneinkauf via Taxi-Kurier. Nur dann wird für die Lebensmittellieferung ausnahmsweise das ansonsten fest verschlossene Tor geöffnet.
Versorgung
Bei unseren Bestellungen bekommen wir von unserem Fahrer nicht immer das geliefert, was wir bestellt haben. Manches fehlt komplett, andere Produkte sind einfach die falschen. Und immer versucht uns der Kurier, über das Ohr zu hauen. Alles muss abgewogen, kontrolliert und abgerechnet werden. Jeder Kassenbon, falls vorhanden, wird geprüft. Auch die Verteilung läuft korrekt ab. Oft müssen wir jedoch improvisieren und gute Miene machen, wenn wieder einmal die Hälfte der Bestellung fehlt. Wir lernen zurückzustecken und auch zu teilen, wenn einer von uns seine Order nicht erhalten hat.
Hippielike
Ich habe noch nie in einer Gruppe mit unterschiedlichen Charakteren über einen so langen Zeitraum dicht zusammengelebt – missen möchte ich diese Erfahrung auf keinen Fall! Ich gehöre mit Sicherheit zu den Menschen, die durch die von Corona verursachte Zwangspause sehr viel Positives erfahren haben. Für uns alle ist es eine wunderschöne Zeit voller Freiheiten und Kreativität.
Kein Internet, aber Wifi
Natürlich gibt es bei allem Schönen auch Wermutstropfen. Einer davon ist sehr bitter: wir haben entweder sehr, sehr, langsames oder gar kein Internet 😡. Das nervt, denn wir alle hängen im Netz herum! Andererseits hat auch dies etwas Gutes für sich: du verlierst deine Zeit nicht an die Social Media sondern füllst sie mit wahrem Leben.
Abschied
Die Restriktionen werden am 4. Mai gelockert, die Schulen öffnen wieder. Am 14. Juni werden die Reisebeschränkung innerhalb des Landes aufgehoben und wir können wieder im Senegal touren und das Land bereisen. Wir müssen zwar unseren Aufenthaltsstatus legalisieren, doch wir planen schon wieder, schnell unser großes Reiseziel Südafrika in Angriff zu nehmen. Wir sind wieder optimistisch, unsere Reise fortsetzen zu können, und dass wir meinen Bruder, der in Namibia lebt, besuchen. Ich hoffe, dass wir unser Reisen durch Afrika fortsetzen werden, doch wir müssen wahrscheinlich noch ein Jahr mit Handicaps durch Corona rechnen.
Epilog
Natürlich gibt es in solchen großartigen Geschichten immer einen Nachtrag. Ein paar Zeilen, in denen du Informationen über die Protagonisten und deren Weiterentwicklung erhältst. Nina und Raphael erwarten ihr erstes Kind und wohnen in einem historischen Steinhaus im schönen Südwesten Frankreichs. Natalia und Luis arbeiten zurzeit in Norwegen und sind bis heute nicht in ihr altes Leben in Barcelona zurückgekehrt. Unser geliebter Khaled ist nur wenige Wochen später in Casablanca im Alter von 28 Jahren plötzlich verstorben. Ein Schock und ein unermesslicher Verlust für uns.
Die kleine Nora ist ein junges Mädchen geworden und ihre Eltern Ursula und Martin freuen sich auf neue Gäste, Abenteurer mit ihren Geschichten. Ich werde sicher nie wieder eine so wertvolle Erfahrung machen, wie in diesen außergewöhnlichen vierzehn Wochen in der Zebrabar.