Wir wollen weiter, Richtung Süden, und ich suche eine direkte Route aus. Der Karte nach führt die schnellste Strecke über die R304 und dann bei Demnate weiter über die R302 nach Ouarzazate.
Die R307 von Barrage Bin El Ouidane bis Ouarzazate
Gesagt, getan. Frank folgt mir als Navigatorin blind. Wir verlassen unseren Übernachtungsplatz am Barrage_Bin_El_Ouidane und tuckern gemütlich und entspannt los. Gerade einmal 260 km liegen bis Ouarzazate vor uns, wir sind völlig locker und planen nicht einmal eine Übernachtung für diese Distanz ein.
Hinauf in den Hohen Atlas
Was wir für unsere Marokko-Tour auf keinen Fall geplant hatten, ist eine Fahrt durch das Hochgebirge. Da ich nun zum zweiten Mal den schweren Fehler begangen habe, Höhenlinien nicht zu beachten, geraten wir mitten hinein in ein großes Abenteuer. Noch wissen wir nicht, was uns bevor steht und wir nehmen uns sogar die Zeit für einen Mittagsimbiss bei Azilal. Streetfood in Marokko ist ein ,Must have’ und absolut empfehlenswert.
➽ TIPP
Wer von Euch ein Abenteuer sucht, sollte die R307 unbeding fahren! Auch wenn sie absolut anstrengend und auch gefährlich zu befahren ist, bereuen wir keinen Zentimeter dieser Route durch die atemberaubende Landschaft des Hohen Atlas.
Weiter führt uns der Weg über Demnate und langsam registrieren wir, dass ich doch einen kleinen Flüchtigkeitsfehler begangen habe. Wir fahren mitten hinein in den Hohen Atlas, langsam und stetig gewinnen wir an Höhenmetern und die Straße wird immer schlechter. Wir sind im Februar unterwegs und nach dem Winter waren viele Stellen schwer passierbar. Die Kurven nehmen stetig zu und werden zu allem Übel auch noch immer enger. An vielen Stellen ist die Straße weggebrochen oder durch Geröll blockiert. Der Frühling ist im Hohen Atlas noch nicht angekommen.
Mittlerweile schleichen wir nur noch und arbeiten uns Kilometer für Kilometer hinan. Frank muß hart arbeiten und sich auf das Äußerste konzentrieren. Die Zeit läuft schneller ab, als wir vorankommen. Immer mühsamer und gefährlicher wird die Strecke, die zu einer schmalen Schlagloch-Piste geworden ist. Wir schlängeln uns vorbei an Felsbrocken, die von den letzten Steinschlägen noch nicht geräumt sind, zwängen uns durch arme, karge und einsame Bergdörfer und manövrierenden den Tiger durch kratertiefe Schlaglöcher, und da ein Ausweichen mittlerweile unmöglich geworden ist, krabbeln wir nur noch auf allen Vieren voran. Wir trauen uns kaum, in den scharfen Kurven die steilen Abgründe hinunter zu schauen. An manchen Stellen ist so viel von der Piste weggebrochen, dass wir jederzeit damit rechnen, nicht mehr weiterfahren zu können.
Schlafen auf 2.500 Metern Höhe
In den Tälern ist es schon dunkel, als wir in Ait-Tamlil einen geeigneten Standplatz finden. Für unseren Tiger gibt es auf der Strecke so gut wie keine Parkmöglichkeiten und die Wege, die rechts und links abzweigen, sind nur noch Eselpfade.
Der Sonnenuntergang läßt die schneebedeckten Gipfel in einem leuchtenden Orange und Gold erglühen und der rundum Blick auf die 3.000 Meter hohen Berge des imposanten Atlas entschädigt für die harte und gefährliche Fahrt. Wir sind alle, inklusive der Hunde, fix und fertig und haben heute nur gerade mal die Hälfte der Wegstrecke nach Ouarzazate zurückgelegt. Für die 160 km haben wir gut sieben Stunden Fahrtzeit benötigt. Kalt ist es und wir ziehen uns schnell in den Tiger zurück. Das wir direkt schlafen, ist kaum verwunderlich.
Am Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Herrliche Bergluft, ein traumhaftes Panorama und ein Spaziergang über die mit Wacholder bedeckten Felsen ist unser Frühstück. Die Landschaft entschädigt uns für alle Strapazen und der Blick auf die Dreitausender ringsum ist einfach überwältigend und unbeschreiblich schön. Entspannt starten wir in den neuen Tag und nach Ouarzazate.
Langsam bergab
Bald heißt es: nur noch: abwärts. An der Landschaft können wir uns nicht satt sehen, müssen immer wieder anhalten, um zu fotografieren und zu genießen. Während der Fahrt ist ein Sight-Seeing nicht möglich, da die Abfahrt genauso gefährlich und anstrengend ist, wie die Bergfahrt, auch wenn die Strecke je näher wir nach Ouarzazate kommen, immer besser wird.
Star Wars
Schon mindestens hundert Kilometer vor Ouarzazate sehen wir vom Hohen Atlas aus ein kosmisches Strahlen und wir kommen uns vor, wie in Krieg der Sterne.
Beim näher kommen entpuppt sich das übergalaktische Strahlen als das erste von fünf geplanten Solarkraftwerken in Marokko. Der Standort bei Ouarzazate wurde deshalb gewählt, weil es dort die weltweit höchsten Werte der jährlichen Sonneneinstrahlung gibt.
Mit Star Wars lagen wir trotzdem nicht falsch, ist doch Ouarzazate auch das Zentrum der marokkanischen Filmindustrie. In den Atlas Corporation Studios oder auch Atlas Film Studios genannt, kann man viele Filmsets besichtigen, zu sehen sind verschiedene Sets, wie das tibetische Mönchskloster aus Kundun, der F-16-Kampfjet aus Auf der Jagd nach dem Juwel vom Nil oder der ägyptischen Tempel von der deutsch-französischen Großproduktion Asterix & Obelix: Mission Kleopatra. Etwas entfernt von den Studios wurden Produktionen wie Lawrence von Arabien, Krieg der Sterne oder Sieben Jahre Tibet und Babel gedreht.
Die Ausfahrt aus den Hohen Atlas stimmt uns wehmütig, wir wissen, dass wir mit der Überquerung etwas ganz besonderes erlebt und eine faszinierende Landschaft gesehen haben.
Ouarzazate lockt jedoch mit Oasen, von denen eine unser Standplatz für die nächsten Tage werden soll: die Oase de Fint, einige Kilometer südwestlich von Ouarzazate. Wir sind glücklich und voller Kraft, die uns der Hohe Atlas geschenkt hat.